Zum Geleit

„Ein solcher Bau steht normalerweise 200 Jahre.“

Der Düsseldorfer Stadtplaner Friedrich Tamms 1960 auf die Frage eines Ratsmitglieds, wie lange die in Planung befindliche Hochstraße halten würde. 1.1

Reste des Tausendfüßlers, Dreischeibenhaus und Schauspielhaus, April 2013

49 Jahre durfte diese Hochstraße -der Tausendfüßler- bis zu ihrem Abriss 2013 halten. Sie stand großflächigen Stadtumbauplänen im Wege, zudem fand ihr nüchterner und funktionaler Baustil kaum noch Fürsprecher. Noch in den Neunzigern wurde anders über diese Architektur gedacht, der Tausendfüßler wurde zum Baudenkmal erklärt.
Beispielhaft waren ihre elegante Ausführung und ihre Einbindung in die innerstädtische Umgebung, wo sie im Zusammenspiel mit Dreischeibenhaus und Schauspielhaus Düsseldorfs Eigenlogik einer modernen, aufstrebenden und der Zukunft zugewandten Stadt inszenierte. Gleichzeitig stand sie exemplarisch für die Architektur der Nachkriegsmoderne, einer Architekturphase die von 1945 bis ungefähr 1975 währte und über Jahrzehnte das Bild der vormals schwer kriegszerstörten Stadt Düsseldorf bestimmte. Düsseldorf überstand 243 Luftangriffe der Alliierten, in der letzten Kriegsphase war sie 6 Wochen Frontstadt. 1945 waren 85 % der Gebäude beschädigt oder vollständig zerstört, die Bevölkerung ging von 540000 Einwohnern 1939 auf 235000 im Jahr 1945 zurück. 2

„Düsseldorf ist eine Trümmerstadt, durch einen brückenlosen und durch zahlreiche Schiffswracke gesperrten Strom in zwei Teile getrennt, eine Stadt, in der Tausende von Menschen in Bunkern und Kellern wohnten, eine Großstadt, in der keine Straßenbahn fahren konnte, eine Stadt, deren Bewohner durch die Schrecken des Krieges erschüttert und nach der politischen Verirrung mutlos geworden waren, eine Stadt, in der Hunger und Not herrschten und Verwahrlosung und Demoralisierung zu einer immer größeren Unsicherheit führten, eine Stadt, in der primitivste Regeln der Hygiene vielfach nicht mehr beachtet werden konnten, in der die notwendigsten Gebrauchsgegenstände fehlten und selbst keine Särge mehr für die Toten vorhanden waren, das war das traurige Erbe, das diejenigen vorfanden, die sich für die Wiederingangsetzung und den Wiederaufbau der städtischen Verwaltung einsetzten und damit unserem schwer heimgesuchten Düsseldorf die erste und wichtigste Hilfe leisteten.“

Auszug aus dem ersten Stadtverwaltungsbericht nach dem Krieg 1949 3

Der Neuanfang und Wiederaufbau erfolgte unter Federführung von Friedrich Tamms, eines ehemaligen Kommilitonen und späteren Mitarbeiters Albert Speers. Seine Karriere spiegelt Aufstieg und Niedergang des dritten Reichs exemplarisch wieder. In der Organisation Todt entwarf er Autobahnbrücken, realisierte prominente Flaktürme (Heiligengeistfeld Hamburg) und war später im Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte tätig. Auch war er Mitarbeiter in der Planungsbehörde Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin G.B.I., die Berlin nach nationalsozialistischen Maßstäben in „Germania“ umgestalten sollte.

Düsseldorfs erbärmlicher Nachkriegszustand bot ihm das Plateau zur Realisierung dringend notwendiger Stadtumbaumaßnahmen. So schuf er mit der Berliner Allee eine Nord-Süd-Achse parallel zur Königsallee, die den zunehmenden Individualverkehr auffangen konnte.
In diesem Zusammenhang wurde ihm vorgeworfen, dass er ohne Rücksicht auf den historischen Baubestand die Idee der autogerechten Stadt in Düsseldorf umgesetzt hat. Betrachtet man die bauliche Anlage der Berliner Allee, bleibt nicht viel übrig, was diesen Vorwurf rechtfertigen könnte. So entschied er sich gegen die Umstrukturierung der Bebauung hin zur „modernen“ offenen Zeilenbauweise und beließ es bei der herkömmlichen Blockbebauung mit gemischter Wohn-, Geschäfts- und Büronutzung.
Auch liegt keine Verkehrswegetrennung vor, vielmehr sorgen sehr breite Bürgersteige und die Entscheidung, die Straßenbahn auch weiterhin oberirdisch verkehren zu lassen und nicht in eine U-Bahn umzuwandeln, zu einer gleichwertigen Durchmischung aller Verkehrsmittel. Auch fielen der neuen Nord-Süd-Achse im Vergleich zu alternativen Verkehrsplanungen nur sehr wenige noch funktionsfähige Gebäude zum Opfer. 1.2

Eher gerechtfertigt war die öffentliche Kritik an Tamms Personalpolitik, die immer wieder ehemaligen Studien- und Arbeitskollegen prominente Posten in der Düsseldorfer Bauverwaltung verschaffte.
Die Kritik am „Kölsche Klüngel“ kumulierte schließlich 1952 im Düsseldorfer Architektenstreit. In diesem Jahr berief Tamms einen ehemaligen Arbeitskollegen unter Albert Speer, Julius Schulte-Frohlinde zum Leiter des Düsseldorfer Hochbauamts. Nicht nur die schon jahrelang von Tamms praktizierte Vetternwirtschaft

„Aller Anfang ist der Ziegel
Und dann später der Zement,
Aber nichts hält so zusammen
Wie ’ne Clique, die sich kennt.“

Kay Lorentz,  Düsseldorfer Kom(m)ödchen 1952 4

rief den Unmut der Düsseldorfer Architekten hervor, sondern auch der von Schulte-Frohlinde präferierte klassizistisch historisierende Baustil (Düsseldorfer Klassizismus triumphiert – Warum restauratives Bauen in einer fortschrittlichen Stadt?“ – Düsseldorfer Nachrichten, 6. März 1952), verwirklicht im Verwaltungsgebäude der Stadtkämmerei, traf auf zwar erbitterten, aber zunächst zwecklosen Widerstand.

Verwaltungsgebäude der Stadtkämmerei 1953-1957, Julius Schulte-Frohlinde

Was die öffentliche Hand zunächst verschlief, setzten Privatinvestoren in Form repräsentativer, zukunftsweisender und moderner Gebäude um. Der ehemalige „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ entwickelte sich nach seiner Ernennung zur Landeshauptstadt im Jahr 1946 durch die Allierten zu einer der großen westdeutschen Handels- Verwaltungs- und Verbandszentren, zum „Fenster zur Welt“ Westdeutschlands.
Für den Haniel-Konzern baute Düsseldorfs bekanntester Architekt Paul Schneider-Esleben (Vater des Kraftwerk-Gründungsmitglieds Florian Schneider) 1953 die Haniel-Garagen und 1955 für Mannesmann das erste Stahlskelett-Hochhaus mit Vorhangfassade Deutschlands im Stil Mies van der Rohes. Helmut Hentrich, ein ehemaliger Studien- und Arbeitskollege Friedrich Tamms, baute im Jahr 1952 das Draht- und Aluminiumhaus für die entsprechenden Wirtschaftsverbände.
Auch den vorläufigen Höhepunkt modernen Bauens in Deutschland realisierte Hentrich mit dem Dreischeibenhaus 1957 für den Phoenix-Konzern, später Thyssen.

Die Kirche verabschiedete sich in Düsseldorf ebenfalls von restaurativen Wiederaufbaugedanken der zerstörten Gotteshäuser und ließ von namhaften Architekten wie z.B. Gottfried Böhm, Hans Schwippert und Josef Lehmbrock eine Vielzahl moderner Sakralbauten errichten.
Auch Schneider-Esleben beteiligte sich im Jahre 1955 mit der bemerkenswerten Rochuskirche am Wiederaufbau.

Schließlich zog die Moderne auch in die Düsseldorfer Bauverwaltung ein. Tamms persönlich hinterließ markante Bauten wie das Rheinstadion, die innerstädtische Brückenfamilie und den Tausendfüßler

Viele weitere öffentliche und private Bauten folgten und gaben der Stadt ein neues Gesicht.

Nach langen Jahren der Nichtbeachtung, Geringschätzung und Abriss (ARAG-Stufenhaus, Zentrale der West LB, Rheinstadion, Studienhaus, Tausendfüßler, Kongresshalle…) moderner Nachkriegsarchitektur in Düsseldorf und bundesweit scheint sich seit ein paar Jahren ein positives Bewusstsein für den gestalterischen und funktionalen Wert der oftmals als kalt und abstoßend verschrienen Architektur zu entwickeln. Auch wenn die baulichen Verluste bereits gravierend sind, verfügt Düsseldorf immer noch über einen repräsentativen Bestand qualitativ hochwertiger moderner Nachkriegsarchitektur.

Ich vor Radschläger, 2007

In den Jahren 2004 2013 hielt ich das Düsseldorfer Stadtbild mit der Fotokamera fest und legte meinen Fokus auf diese Nachkriegsarchitektur. Aber auch Bauwerke anderer Epochen sind in der Sammlung vertreten. Nicht zuletzt ergibt sich die Wirkung eines Gebäudes im Stadtraum erst durch sein Zusammenspiel mit oder im Kontrast zu benachbarten Gebäuden anderer Baustile und Epochen.


Zur Technik
Von Juni 2004 bis April 2011 nahm ich fast alle Fotos mit einer Großformatkamera zunächst auf 4×5 inch, später mit Rollfilmrückteil auf 120er Kodak Portra 160 Farbnegativfilm im Format 6×9 cm auf.
Von Mai 2011 bis Juni 2014 fotografierte ich digital, seit kurzem wieder sporadisch analog auf Rollfilm.

Version 1 von Dazzledorf.net war von 2006 bis Mitte Januar 2019 online. Technische Neuerungen machen jetzt ein Update der Seite notwendig. Neu implementierte Suchfunktionen gewähren einen gezielteren Zugriff auf den Fundus. Die Fotos werden neu interpretiert und in höherer Auflösung hochgeladen, bei Bedarf auch neu gescannt. Weiterhin werden die Beschreibungen und Schlagworte aktualisiert und erweitert.

Uploadchronologie:
15.02.2019: erster Upload von Dazzledorf Version 2.
24.02.2019: alle Fotos aus 2004 und 2005 eingespielt.
28.02.2019: Bild 100 hochgeladen.
24.03.2019: Bild 150 hochgeladen.

20.05.2020: Leider kamen ein paar Sachen dazwischen, voraussichtlich ab Winter wird hier wieder gearbeitet.
09.02.2021: alle Fotos aus 2006 hochgeladen, 300 Fotos online.
20.04.2021: alle Fotos aus 2007 hochgeladen, 550 Fotos online.



Dazzledorf?
Übernommen habe ich den Titel Dazzledorf (englisch, to dazzle: blenden, schillern) von Charles Wilps hervorragendem Stadtportrait Dazzledorf-Vorort der Welt aus dem Jahr 1979. 5

Zum Logo
Das Logo beruht auf einem stilisierten Stadtwappen, angebracht auf der Düsseldorfer Rathaustür. Geschaffen wurde es 1969 von Zoltan Székessy.
Zoltan Székessy ergänzte das Düsseldorfer Wappen um eine stilisierte Darstellung des Rheins, überspannt von den drei innerstädtischen Rheinbrücken.

Düsseldorfer Stadtwappen, Rathaustür mit stilisiertem Wappen von Zoltan Székessy und das Dazzledorf-Logo

Zur Person
Kay Röhlen, geboren 1966 in Düsseldorf, seit 2015 wohnhaft in Berlin.
Ich fotografiere seit 1982, weitere Fotos sind unter kayroehlen.net zu sehen.

Kay Röhlen
AM Rosenanger 74a
13465 Berlin
kay@dazzledorf.net

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Quellen und Anmerkungen
1.1 Der Düsseldorfer Tausendfüßler – M. Droste und H. Fischer, Droste Verlag 2015, S. 168
https://www.droste-verlag.de/buecher/der-duesseldorfer-tausendfuessler/

1.2  ebenda,
Stadtplanung in Düsseldorf, Notizen zu Friedrich Tamms
Kurt Schmidt, S. 210– 212

1.2  ebenda,
Düsseldorf – „autogerechte Stadt“?
Hagen Fischer, S. 213 – 214

2 Clemens von Looz-Corswarem, Die Stadt in Trümmern – Düsseldorf im Zweiten Weltkrieg, in: Der Düsseldorf Atlas. Geschichte und Gegenwart der Landeshauptstadt im Kartenbild, Köln 2004, S. 48f.

und

https://langzeitarchivierung.bib-bvb.de/wayback/20121004142747/http://www.bombenkrieg.historicum-archiv.net/themen/duesseldorf.html

3 Clemens von Looz-Corswarem, Aspekte der Stadtentwicklung
http://www.cl-historia.de/archivportal/geschichte.html#05

4 Der Spiegel, 29.10.1952: Rathaus mit Figürkes
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21978108.html

5 Der Spiegel, 16.04.79: Wilps Portrait von Düsseldorf
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40350338.html